Es war Mitternacht, als ich ins
Bett ging. Die Lichter waren ausgeschaltet, nur der leuchtende Schein
des Mondes erhellte ein wenig mein Zimmer. Durch die leicht
knarrenden Fenster konnte ich das laute Tosen des Windes
hören. Ich drehte und wendete mich und konnte einfach nicht
schlafen. Nach einer kurzen Weile setzte ich mich wieder auf und
begab mich schließlich zu meinem Schreibtisch. Dort lagen einige
Auszüge meiner Arbeit von gestern. Eine Modefirma hatte mich
beauftragt, Fotos im Wald am Rande der Stadt zu schießen, weil sie
diese für ihre neuste Ausgabe brauchen. Stolz kam in mir auf,
während ich die Fotos eins nach dem anderen begutachtete. Die
Farben, die Blickwinkel, einfach alles stimmte... Moment mal... Was
war das? Etwas Hässliches ruinierte mein Bild in einer Ecke.
Wahrscheinlich würde es niemandem auffallen, aber ich wollte, dass
meine Bilder perfekt waren.
Ich schloss meine Tischlampe an
der Steckdose an und betrachtete eingehend das Foto. Ich hielt
es mir ganz nah vor dem Gesicht und kniff die Augen zusammen. Was ist
das?
Plötzlich schrie ich auf und
kippte mich dem Stuhl nach hinten auf den harten Boden. Das war ein
Mensch! Ganz schemenhaft konnte man die Konturen eines Gesichtes
erkennen. Es war blutverschmiert und schmutzig aber ich war mir
sicher, dass in der Ecke meines Fotos – wenn auch so klein, dass
man es kaum sah – ein Mensch abgebildet war.
Ich brauchte lange, um micht zu
beruhigen. Während ich zur Küche lief, um mir etwas Wasser zu
holen, überlegte ich fieberhaft. Wenn dem wirklich so sein wollte,
wieso war er mir dann gestern nicht aufgefallen? Kann es sein, dass
ich mich irrte?
Ich durfte das Foto so nicht
abgeben. Was, wenn es jemand anderes bemerkte?
Zurück im Zimmer schaute ich es
mir noch einmal an. Nein. Das kann nicht sein.
Beängstigt legte ich mich in
mein Bett und versuchte krampfhaft einzuschlafen. Doch meine Gedanken
überschlugen sich und ich sah nur noch dieses Bild vor meinen Augen.
Mit einem Satz sprang ich auf, schnappte mir meine Jacke
und verließ die Wohnung. Um diese Uhrzeit fuhren kaum Busse, also
rief ich mir ein Taxi und ließ mich kurz vor dem Eingang des Waldes
fahren. Der Taxifahrer schaute mich schon ganz komisch an, ich musste
wohl ganz aufgedreht wirken. Außerdem, was hat eine junge Frau in
der späten Nacht in einem stockfinsteren Wald zu suchen? Ich gab dem
Herrn ein wenig mehr Trinkgeld und stieg aus. Als das Taxi weg fuhr,
fragte ich mich, ob es wirklich eine gute Idee war, jetzt hierher zu
kommen. Ich hätte warten können, bis es morgen war.
Gut jetzt!, schalt ich mich.
Wenn ich schon mal hier war, konnte ich es auch genauso gut hinter
mich bringen. Ich zog das Foto und eine Taschenlampe aus meiner
Handtasche und begab mich hinein. Ich weiß nicht, wie lange ich
suchte. Ich erinnere mich nur an die Schmerzen, die mir umgefallene
Äste bereitet hatten. Vorbeihuschende Tiere jagten mir einen großen
Schreck nach dem anderen ein. Unzählige Male stolperte ich und stand
erneut auf. Es war bitterkalt und ich zitterte am ganzen Leib. Meine
Bilder halfen mir mehr oder weniger bei der Orientierung, doch
irgendwann, nach einer gefühlten Ewigkeit, fand ich die Stelle
wieder. Und da war sie. Unverkennbar an einem Baum lag eine Gestalt.
Ein Mensch. Ich hatte sie gestern nicht sehen können, weil er über
und über mit Schlamm, Schmutz und getrocknetem Blut verschmiert und
praktisch unsichtbar unter all dem Gewächs war. Innerlich wappnete
ich mich gegen alles, was kommen möge. Ich sprach ein kleines Gebet
gen Himmel und näherte mich dem hoffentlich noch lebenden Körper.
Aber andererseits... war ich wirklich in Sicherheit, wenn dieser
Mensch plötzlich aufstehen sollte? Was, wenn das ein Mörder war?
Ein gesuchter Verbrecher?
Ich ging näher und näher und
stellte fest, dass dieser Mensch tot war. Ich wusste nicht, ob ich
erleichtert oder traurig sein sollte. Mit zitternden Händen langte
ich nach dem Gesicht und drehte es zu mir.
Mit einem Mal war alles Luft aus
meiner Lunge weg und ich konnte nicht mehr atmen. Tränen schossen
mir in die Augen und ich wollte fliehen. Nur noch ganz weit weg und
nie wieder zurück kehren. Doch meine Beine versagten mir den Dienst.
Mit beiden Händen versuchte ich den Schmutz und das Blut aus dem
Gesicht der Frau wegzuwischen. Aber es nützte nichts. Ich hatte mich
nicht geirrt. Diese tote Frau war ich.
neue Wörter: Fenster, Steckdose, Jacke
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